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Zuwanderung

Kürzlich wurde die Dezember-2024-Umfrage des ARD-Deutschlandtrends durchgeführt und eines seiner Ergebnisse von Infratest-Dimap wie folgt beschrieben: „Gefragt nach den wichtigsten politischen Problemen, die die Politik nach der Wahl angehen sollte, nennen gut vier von zehn die Lage der Wirtschaft, ein Viertel die Zuwanderung.“

Auch in den letzten Jahren wurde Zuwanderung in der Bevölkerung teilweise kritisch gesehen. Das zeigt beispielsweise eine Auswertung der letzten beiden Befragungsrunden des European Social Surveys (ESS). Gefragt wird im ESS unter anderem nach der Haltung zu Menschen, die aus den ärmeren Ländern außerhalb Europas nach Deutschland kommen, um hier zu leben. Die befragten Personen sollen angeben, wie vielen Menschen erlaubt sein sollte herzukommen. 

Die Umfrage im 4. Quartal von 2021 ergab: vielen (20%), einigen (49%), ein paar wenigen (25%), niemandem (6%). N = 8.456 

Die Umfrage in der 2. Hälfte von 2023 ergab: vielen (21%), einigen (44%), ein paar wenigen (28%), niemandem (7%). N = 2.357 

31 bzw. 35 Prozent der im ESS befragten Personen gaben danach eine eher kritische Haltung gegenüber Zuwanderung zu erkennen. Ein direkter Vergleich dieser Zahlen mit dem eingangs zitierten Viertel (25%) im aktuellen ARD-Deutschlandtrend verbietet sich zwar, es ist aber durchaus bemerkenswert, dass völlig unterschiedliche Fragezugänge zur Thematik auf ähnliche Größenordnungen schließen lassen.

Im Vergleich der beiden ESS-Umfragen erscheinen die Häufigkeitsverteilungen weitgehend stabil. Leicht eingeschränkt wird der Zeitvergleich allerdings durch den Wechsel der Interviewmethode von selbstadministriert (web/postalisch) in ESS-Runde 10 zu interviewer-vermittelt (face-to-face) in ESS-Runde 11. Aus der Survey Methodologie wissen wir jedenfalls, dass interviewer-vermittelte Interviews anfälliger gegenüber der Abgabe sozial erwünschter Antworten sind als selbstadministrierte Interviews.

Als weitere Datenquelle können wir eine Eurobarometer-Umfrage heranziehen, und zwar den im Juni/Juli 2024 durchgeführten Flash Eurobarometer 550, mit seinen n=1.000 Befragten für Deutschland*. Gefragt wird dort mit Bezug aufdie Europäische Union. Und zwar einerseits nach den „aktuell größten Herausforderungen, denen die EU gegenübersteht“, und andererseits nach den „größten globalen Herausforderungen für die Zukunft der EU“. Den Befragten war dafür eine Liste von jeweils zehn solcher Herausforderungen mit der Bitte vorgelegt worden, jeweils „bis zu drei“ von ihnen auszuwählen. „Irreguläre Migration“ ist eine der zehn Herausforderungen, die in beiden Listen abgefragt werden, von 40 Prozent („aktuell“) bzw. 39 Prozent („für die Zukunft der EU“) als Herausforderung benannt werden und mit diesen Werten auf Rang 2 bzw. 3 der jeweils zehn Prozentwerte liegen. Dem Thema wird in der Bevölkerung also durchaus größere Bedeutung beigemessen. Schaut man dann darauf, wieviel Prozent der Befragten das Thema „irreguläre Migration“ zugleich in beiden Listen ausgewählt hat, also als fortwährende Herausforderung ansehen, dann liegt der Prozentsatz bei 27 Prozent. Auch diese Zahl ist aufgrund von  unterschiedlichem Fragebezug (hier: EU) und unterschiedlichem Frageansatz nicht direkt mit den Zahlen oben vergleichbar, würde aber auch hier auf einen Bevölkerungsanteil von ca. einem Viertel schließen lassen, der dem Thema vergleichsweise größere Bedeutung beimisst.

Als besonders interessant stellt sich mir zudem der Zusammenhang zwischen zwei Einstellungen dar: der Haltung, die Menschen gegenüber Zuwanderung einnehmen, und der Haltung gegenüber Autorität als Erziehungsziel. Wenn Sie sich die Tabelle durch Anklicken vergrößern, sehen Sie, dass beide Haltungen eng zusammenhängen: So steigt in den Umfragen des European Social Surveys der Prozentsatz derer, für die "Gehorsam und Respekt vor Autorität die wichtigsten Werte" sind, "die Kinder lernen sollten", in der 2023-Umfrage von 49% über 70% auf 86%, und in der 2021-Umfrage von 36% über 54% auf 68%. Es gilt demnach: Je kritischer die Haltung gegenüber der erfragten Form der Zuwanderung ist, desto höher ist der Akzeptanzgrad dieses Erziehungsziels. 

Dieser Zusammenhang ist nicht nur per se interessant, sondern auch aufgrund einer weiteren Korrelation: Und zwar korreliert die Haltung zu besagtem Erziehungsziel recht stark mit dieser Haltung: "Was Deutschland am meisten braucht, ist Loyalität gegenüber der politischen Führung." In der 2021-Umfrage beträgt diese Korrelation r=0,49 und in der 2023-Umfrage r=0,37. Loyalität gegenüber der politischen Führung sehr hoch zu bewerten, ist das Eine, eine politische Führung in erster Linie kritisch begleiten und auch dadurch demokratische Kontrolle auszuüben zu wollen, etwas Anderes.

Ich möchte dies in der nächsten Analyse in dieser Aktuell-Rubrik etwas genauer beleuchten.  

 

*Source (Dataset): European Commission: Flash Eurobarometer 550: EU challenges and priorities, June-July 2024. Ipsos European Public Affairs [Producer]; GESIS Data Archive: ZA8870, dataset version 1.0.0. (2024), doi: 10.4232/1.14410. Die Umfrage wurde vom 25.06.-02.07.2024 durchgeführt (Quotenstichprobe; Häufigkeitsverteilungen hier „w1“ gewichtet).